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“Es hilft alles nichts: Man muß, um Hamburgs Schönheit zu begreifen, nachts am Fenster stehen und dem Fluß zuhören - und in der Frühe, wenn das Morgenlicht auf dem Fluß glitzert, als sei er das Mittelmeer, an den nahen Elbstrand gehen oder auf den kleinen Leuchtturm, der weiter flußabwärts im Wasser steht. Oder [...] in die Stadt fahren. Oder ins Treppenviertel. An den Klosterstern oder, ganz früh, auf den Fischmarkt, wo man die großen Werften sieht.
Nirgendwo ist Hamburg hanseatischer als an der Elbe, nirgendwo ist der Frühling schöner als hier, und überhaupt Hamburg! Wo die Mädchen Anna und Hanna und Jonica heißen und die Jungen John, aber nicht englich “Dschonn” ausgesprochen, sondern “John”, so, wie man es schreibt. Wo die goldenen Retriever noch blonder sind als ihre Besitzerinnen; wo man an einem warmen Morgen bei Bodos Bootssteg für eine Stunde ein Segelboot mieten und auf der Alster fahren kann, wenn der Himmel so dunkelbrau wie die Jaguar-Limousine vor der Tür ist und nur ein paar Wolken über die Türme der Mundsburg treiben und das Wasser weißglitzernd am Bug vorbeizischt und man gute Laune und einen Sonnenbrand bekommt; wo man schon Barbourjacken trug, als man sich in Düsseldorf und München noch mit Fellen gegen die Kälte schützte; wo die großen Damen ihre Schwiegersöhne siezen, aber beim Vornamen nennen - “Carsten-Peter, würden SIE mir bitte noch mal die Rotegrützeschüssel herübergeben”; wo die Herren manchmal ein Seidentuch in den Ausschnitt ihres Polo-Ralph-Lauren-Hemdes stopfen, damit sich das Brusthaar beim Segeln nicht erkältet; wo am Montag die Zündschlüssel knirschen, weil der Sylter Sand vom Wochenende noch in der Tasche hängt; wo die Damen der Gesellschaft über ihren Betten wilde Zeichnungen hängen haben, die ihnen der betrunkene Horst Janssen auf irgendeinem Gartenfest an der Alster gemacht hat, Zeichnungen mit feinen kritzeligen Linien und einem zotigen Kommentar darunter; wo man in der windschiefen, jahrhundertealten Hochzeitskirche St.Johannis heiratet; wo das Licht am schönsten ist, wenn nach einem zu warmen Tag die Gewitterwolken hinter den weißen Häusern am Klosterstern aufziehen; wo man in sehr kalten Wintern vom Atlantic bis zur Steekbrücke auf dem Eis der zugefrorenen Alster laufen kann; das villenweiße, british-racing-grüne, sonnenblonde HAMBURG!”
aus: Niklas Maak: “Fenster zum Fluß”, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.04.03, Seite V2
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